Die Vogelscheuche (von Christian Morgenstern)
Die Raben rufen: Krah, krah, krah!
Wer steht denn da, wer steht denn da?
Wir fürchten uns nicht, wir fürchten uns nicht
Vor dir mit deinem Brillengesicht.
Wir wissen ja auch ganz genau,
Du bist nicht Mann, du bist nicht Frau.
Du kannst ja nicht zwei Schritte geh'n
Und bleibst bei Wind und Wetter steh'n.
Du bist ja nur ein bloßer Stock,
Mit Stiefeln, Hosen, Hut und Rock.
Krah, krah, krah!
Christian Morgenstern
Deutscher Dichter
6. Mai 1871 - 31. März 1914
Bild: Vogelscheuchen auf einem Reisfeld in Japan - wikipedia, Kakashi2 (Gemeinfrei)
Fabel: Das Rebhun und die Hühner
Ein Hühnerfreund kaufte ein Rebhuhn. Es sollte im Hof mit dem anderen Geflügel laufen, doch die Hühner pickten das Rebhuhn stets vom Fressen fort. Das Rebhuhn zog sich tief bedrückt in einen Winkel zurück, denn es fühlte sich fremd und allein gelassen.
Dann aber sah es, dass sich die Hühner auch untereinander pickten und scheuchten. Da sprach das Rebhuhn zu sich selbst: "Wenn diese Tiere ewig untereinander zanken und streiten, dann werde ich es wohl ertragen, wenn es ab und an auch mich trifft."
das Gedicht 2
Die Bergmannskuh
Wenn ich eine Ziege seh’,
muß ich an zu Hause denken.
Höre ich das traute Mäh,
kann ich mich zurückversenken
in die Zeit der bloßen Füße.
Vor mir seh’ ich Hof und Feld.
Tiere bringen ihre Grüße
aus der bunten Kinderwelt.
Wenn ich eine Ziege seh’,
denk ich an zerrissne Hosen,
und zum Dank für jedes Mäh
möcht ich ihr den Bart liebkosen.
Friedlich grast die Bergmannskuh
unter Silberbirkenstämmchen.
Gab uns Milch und noch dazu
um die Osterzeit ein Lämmchen.
Die Kaninchen, Täubchen, Entchen,
Stare, Spatzen, groß und klein,
bringen mir ein lustig Ständchen,
selbst der Kater stimmt mit ein.
Lieblich klingt das weiche Mäh,
Heimatklänge mich umschmeicheln.
Wenn ich eine Ziege seh’,
muß ich hingehn – und sie streicheln.
Von Fred Endrikat
das Gedicht
Gedicht
ERNTEZEIT
von Annegret Kronenbe
Erntezeit
Es herbstelt schon gewaltig.
In der Frühe steigen
weiße Nebelschwaden
aus den feuchten Wiesen.
Die Morgensonne tritt
noch kräftig hervor,
lässt alle Sommerblüten
noch einmal in bunter Pracht
aufstrahlen, auch wenn das Laub
schon müde wirkt.
Aus den Apfelbäumen lachen
mit prallen Gesichtern
die roten und gelben Früchte.
Geräuschvoll plumpst hier und da
ein überreifer Apfel ins Gras.
Aus dem Rebenlaub blicken gierig
die Trauben, sie brauchen noch
dringend ein paar Sonnenstrahlen,
um ihre volle Süße zu erlangen.
Die Erntezeit hat ihren Anfang genommen